Poetologisch nennt man Gedichte, die das Dichten selbst zum Thema haben. Das heißt Gedichte über das Dichten. Der Dichter thematisiert entsprechend sein eigenes Schreiben.
Mmmh. Aber wie nenn ich nun Gemälde, die auf diese Weise das Malen thematisieren? Poesie ist griechischen Ursprungs – unter den griechischen Wörtern für „Bilder“ passt wennschon „Piktura“ wohl am besten zu Gemälden, wie ich sie verstehe.*
Pikturologisch?
Spannend für mich ist, dass Piktura (wie die Poetik) auf die Mimesis abzielt. „Der auf Aristoteles u. Plato zurückgehende Begriff der »Mimesis« bedeutet nicht einfach Nachahmung, sondern anschauliche Darstellung, Vergegenwärtigung (des Abwesenden, auch des Fiktiven u. des Unsichtbaren). „*
Das ist doch genau mein Ding! Beides malen: das Sichtbare und das Abwesende. Die Schönheit und das geheime Glück. Die Linien der Frau und die Sehnsucht. Den Schlaf und das Wachsein.
Malen oder das Stehlen der Zeit
Und wenn ich male, ist mein Gemälde immer auch ein Beleg für die gestohlene Zeit. Die Zeit, die dem anderen Leben frech gestohlen wurde. Einem Leben der weltlichen Arbeit und des Äußeren.
Das ist folgerichtig bereits ein erstes Kennzeichen meiner Kunst: dass sie zustande kommt. Anders gesagt: jedes meiner Bilder thematisiert an sich schon das Malen. Es belegt demzufolge schon durch sich selbst den erfolgreichen Kampf um das Kunstschaffen.
Meine Bilder sind infolgedessen in diesem Sinne zwar immer pikturologisch – gleich was sie ansonsten zeigen: immer vergegenwärtigen sie die (Zeit-) Kunst, Kunst zu schaffen. Meine Bilder unterscheiden sich darin jedoch nicht von Bildern anderer Künstler. Im Grunde genommen sind demnach erstmal alle Kunstwerke stets auch pikturologisch und so gesehen wird diese Einordnung damit banal.
Ziel ist es aber, jenseits des Banalen die Gemälde zu identifizieren, die das Malen thematisieren. Diese will ich damit pikturologisch nennen. Dazu kommt man an zwei Kennzeichen nicht vorbei: dem Bildinhalt und der Gestaltungsart.
Bildinhalt und Gestaltungsart
a) Bildinhalt: Es gibt eine Unzahl Bilder, die Maler an ihren Leinwänden zeigen. Gemälde, die den Entstehensprozess festhalten. Kunstwerke, die mit dem „Kunst-Schaffen“ spielen und somit ihr eigenes Werden zeigen oder karrikieren. Mir fallen spontan beispielsweise Eschers Hände ein, die sich selbst zeichnen (link: M.C. Escher: Zeichnende Hände) oder Vermeers „The Artist in his Studio“ (link: Vermeers Künstler). Die Beispiele sind zahlreich. Ihnen fallen sicher weitere ein. Sie zeigen mehr oder weniger konkret das Schaffen der Künstler und die Ergebnisse eben als das Produkt des Schaffensprozesses. Das malerische Schaffen wird selbst wiederum zum thematischen Mittelpunkt des konkreten Malproduktes: das ist pikturologische Malerei. Nennen wir sie primär pikturologisch.
b) Gestaltungsart: hier ist das pikturologische sekundär zu erkennen. Viele Maler lassen bewusst den Pinselstrich oder die Spuren der Malmesser, der Spachtel oder der Finger als solche erkennbar – der Duktus zeugt demgemäß vom Schaffensprozess. Und soll es auch. Diese Künstler möchten (auch) zeigen, was da passiert ist. Folgerichtig thematisieren sie auf diese Art ihr eigenes Schaffen: das eben ist pikturologische Malerei. Nennen wir sie „sekundär pikturologisch“.
pikturologisches Wesen meiner Kunst
Manche meiner Bilder haben pikturologisches Wesen in sich: Die Figuren öffnen beispielsweise abstrahierte Vorhänge, halten ein geheimes Glück brillscher Formen in der Hand oder sie hängen in einem Fantasie-Himmel.
Sie vertrauen darauf, dass sie gehalten werden – von gedankengeschaffenen Formen.
Vertrauen.
Die Kunst wird halten. Sie entwirft ein tragendes Gegenbild. Sie ist mächtig genug, sich ihr ganz hinzugeben.
Und hier und da zeige ich diese Verlässlichkeit der Fantasie: pikturologische Malerei.
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*vgl. Held, Volker: Sachlexikon Literatur. München: DTV, 2000, S. 109-114, zitiert nach
http://culturitalia.uibk.ac.at/hispanoteca/Lexikon%20der%20Linguistik/b/BILD%20Imagen.htm