Autodidakt – ist das ein Makel, ein Kennzeichen, eine Auszeichnung? Ohne Zweifel meiden viele Berufskünstler die „Hobbykünstler“, wie sie oft genannt werden. Der Begriff „Hobbykünstler“ deklassiert den Kunstschaffenden gegenüber dem „echten Künstler“. Aber sind diejenigen denn überhaupt Künstler, deren Broterwerb sich in einem nicht-künstlerischen Beruf ereignet? Kann jemand Kunst schaffen, der Kunst nicht als ersten Beruf ausübt?
Das Dilemma des Freizeitmalers und das Getriebensein des Künstlers
„Inaktiv zu sein ist sicher einer der sichersten Wege,
kein Künstler zu sein.“
(hat bestimmt irgendjemand mal gesagt, oder? – wenn nicht, dann ich jetzt grad). Banal im ersten Moment und immer noch wahr im zweiten. Noch kein Jahr verging, in dem ich so wenig an Überfällen meiner Gedankenwelt auf meinen Alltag erlebte als im letzten. Und im letzten legte ich meine Kunstzügel schlafen, um mich (fast) ganz dem Basteln eines Hauses zu verschreiben.
Wie gelingt es den Weiten des Netzes weniger true mails zu senden, wenn ich weniger male – zählt da jemand mit? Die ebay.Preise für Kunst sind lustig, meine Leinwand teurer als das versteigerte Bild im Rahmen.
„Der auf dem freien Markt zu erzielende Preis für die Kunst eines Künstlers ist ein relevantes Kriterium für die Einschätzung der Qualität seines Schaffens.“
(hat bestimmt irgendjemand mal gesagt, oder? – wenn nicht, dann ich jetzt grad, nicht ganz glaubend). Bekannte von mir verkaufen lieber in Frankreich und Belgien.
„In Zeiten unsicherer Konjunkturprognosen beginnen Normalbürger mit der Investitionszurückhaltung bei kulturellen Dingen“.
(hat bestimmt irgendjemand mal gesagt, oder? – wenn nicht, dann ich jetzt grad). Das sind dann die Zeiten, in denen ich weniger unzufrieden über meine Feigheit bin, lieber ein festes Einkommen zu haben als von freier Kunst zu leben.
„Das unüberwindbare Dilemma eines Freizeitkünstlers, der seine Werke in der Öffentlichkeit ausstellt, ist der Widerspruch zwischen der gewollten Ernsthaftigkeit seiner Kunst und seiner mangelnden Bereitschaft, seine Kunst ernsthaft in den Mittelpunkt seines Lebens zu stellen„.
(hat bestimmt irgendjemand mal gesagt, oder? – wenn nicht, dann ich jetzt grad).
Leben von der Kunst?
Die Entscheidung, andere Einnahmequellen als die echte Kunst zu suchen, ist durchaus nicht oft freiwillig. Fällt die Entscheidung, gewinnt der Künstler bzw. die Künstlerin demnach aber nicht die materielle Freiheit, nun endlich „seine / ihre“ Kunst zu machen, sondern im Umkehrschluss verliert der Künstler bzw. die Künstlerin in den Augen der Kunstbetrachtenden Anerkennung und Bereitschaft, als Künstler/Künstlerin wirklich ernst genommen zu werden.
„Will ein Freizeitkünstler mit seinen Werken aus dem schwammigen Motiv der Entspannungs- und Abenteuermalerei entfliehen, wird ihm das nur gelingen, wenn er sich als Kunstgetriebener zeigen kann, als ein von seiner Kunstgedankenwelt in Besitz genommener und eben nicht als freiwilliger Entscheider in einem Pool an Freizeitmöglichkeiten.“
(hat bestimmt irgendjemand mal gesagt, oder? – wenn nicht, dann ich jetzt grad). Ob das stimmt?
„Kann ein Kunstschaffender wegen beliebiger Umstände seine Kunst nicht ausüben, ist die Größe des dadurch entstehenden Lebensqualitätsverlustes und die entstehende Kraft, diese Umstände zu überwinden, ein Grad für die Intensität seines Künstlerdaseins.“.
(hat bestimmt irgendjemand mal gesagt, oder? – wenn nicht, dann ich jetzt grad). Mir scheint es in der Tat nicht so zu sein, als ob man sich für das Kunstschaffen bewusst entscheiden kann. Klar, jetzt kommt wieder dieser Diskussionsbrecher: dann definier mir doch mal Kunst! Ja gerne.
Leben für die Kunst
Nimm dir ein ganzes Leben und erkenne, dass du es nur lebenswert erlebst, wenn du diese Dinge schaffst, die du oder andere zuweilen als Kunst bezeichnen. Wenn dein Leben so aussieht, dann ist das, was du schaffst, zu Recht als Kunst bezeichnet worden. Dann wird das Kennzeichen „Autodidakt“ unwichtig. Denn alle andere Kriterien kommen von außerhalb und sind entstanden im meist nach Objektivität hechelnden Vergleichsversuchen mit anderen (Künstlern, Stilen, Techniken, Zeiten, Kulturen usw.). Sie sollen deshalb für deine Kunst völlig irrelevant sein.
Der Drang, Neues zu schaffen
Sind wir mal streng: wenn das künstlerische Schaffen mal enden kann, ohne Probleme enden kann, dann war das, was zuvor gemacht wurde, auch keine Kunst.
Gehst du in diesem angesprochen Leben in einem bestimmten Alter in zufriedene Kunstschaffensruhe, dann sollte das zuvor Geschaffene die Bezeichnung „Kunst“ verlieren.
„Wenn die Kunst ein Ende hat und dadurch für den Künstler oder die Künstlerin kein unendlicher Schmerz entsteht, dann ist ihr Werk keine Kunst.“
(hat bestimmt irgendjemand mal gesagt, oder? – wenn nicht, dann ich jetzt grad). Male wieder ab Mai, kritzele bis dahin meine Protokolle voll und stehle meinen Kindern heimlich die Stifte.
Viele Grüße
Thomas Brill